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Klimaschutz und Gesellschaftspolitik

Herr Dr. Steurer, Sie sind Mitglied im Alpenverein und kennen daher die ganz unterschiedlichen Einstellungen zum Klimaschutz, vom Engagement für eine Klimastrategie bis zum Ignorieren des Problems. Was sagen Sie Leuten, die sich des Problems bewusst sind, aber meinen, sie selbst können oder brauchen nichts zu tun, nur die großen Konzerne müssten handeln?

Diese Ansicht ist leider falsch, weil entweder jede*r Einzelne tut, was ihr*ihm möglich ist, oder es wird nichts. Die Veränderung kommt weder von den großen Konzernen noch von den Regierungen, wenn sie nicht von einer breiten Mehrheit eingefordert wird. Das Wichtigste für jede*n Einzelne*n ist, politisch aktiv werden, also diese gesellschaftspolitischen Änderungen einzufordern. Da spricht man vom ökologischen Handabdruck. Dieser soll möglichst groß sein, im Unterschied zum ökologischen Fußabdruck, der möglichst klein sein soll. Der ökologische Handabdruck heißt aufzeigen, zu sagen: „So kann’s nicht weitergehen. Ich will eine bessere Klimapolitik.“ Weniger Autofahren und weniger Fleisch essen ist auch wichtig, aber das Wichtigste ist, darüber reden und damit Normen verschieben. Der Handabdruck bedeutet, dass man versucht, Gesellschaft zu verändern.

Wird man nicht unglaubwürdig, wenn man nur redet und selbst nicht danach handelt?

Idealerweise hat man einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck, redet darüber, fordert politische Bestimmungen ein, die allen ermöglichen, einen möglichst kleinen Fußabdruck zu haben. Das Problem lösen wir nur über eine bessere Politik. Die kommt nur, wenn sie von einer Mehrheit gefordert wird. Was wir brauchen, ist politischer Druck.

Wie sehen Sie die Aufgaben einer Alpenvereinssektion gegenüber ihren Mitgliedern und nach außen?

Ich glaube, dass sämtliche Organisationen vom Alpenverein über die Rettung bis zur Feuerwehr eine politische Rolle übernehmen sollen. Sie sollen sich in die politische Diskussion einmischen und sagen, dass die jetzige Politik nicht gut genug ist, dass sie etwas Besseres wollen. Wir brauchen Organisationen, die sich in dieser Richtung äußern, auch wenn das vielen nicht gefällt. Deswegen sind auch wir Wissenschafter:innen auf die Straße gegangen, haben uns hinter sehr unbeliebte Proteste gestellt, denn Farbe bekennen ist mittlerweile ganz wichtig. Wir müssen die Emissionen jetzt und in den nächsten Jahren runterkriegen, sonst wird es zu spät sein, um das Schlimmste zu verhindern.

Im Alpenverein ist es wohl wichtig, bei den Mitgliedern Bewusstsein für die Klimaproblematik zu schaffen. Durch die Realität von Kriegen und anderen Problemen, befürchte ich, dass dies in den Hintergrund gerät.

Eindeutig, ja. Es gibt im Moment leider akutere Krisen, von der hohen Inflation bis zu den Kriegen, aber die Klimakrise wird dadurch nicht harmlos. Im Gegenteil je weniger wir sie beachten, je weniger wir dagegen tun, umso dramatischer wird es.

Leider ist diese Tatsache eine Negativbotschaft und deshalb schwierig zu kommunizieren.

Ja, wir müssen erwachsen und dieser Krise gewachsen werden oder sie wird uns in große Bedrängnis bringen. Wir verhalten uns leider oft in einer sehr kindischen Art und Weise und glauben, wenn wir die Augen zumachen oder wegschauen, dann wäre auch die Krise weg. Das Gegenteil ist der Fall, sie wird immer schlimmer. Die Realität ist mittlerweile sehr bitter. Mit dieser Botschaft macht man sich nicht beliebt, weder die Aktivist*innen noch wir Wissenschafter*innen, die das bestätigen. Als Erwachsene müssen wir uns dem Problem stellen und eine andere Klimapolitik wählen bzw. einfordern, sonst wird das böse enden.

Sehen Sie positive Kipppunkte? Ich weiß gar nicht, ob man das überhaupt vorhersagen kann. Sie würden das Problem aber fassbarer machen.

Wir wissen, dass es im Klimasystem Kipppunkte gibt, Dynamiken, die das Problem von sich aus verschärfen, z. B. Waldbrände, die noch mehr CO2 freisetzen. Zugleich wissen wir, dass es auch in der Gesellschaft soziale Kipppunkte gibt, hin zu mehr Klimaschutz. 2019 haben wir ganz deutlich gesehen, wie das funktioniert. Da setzte sich 2018 ein Mädchen vor das Parlament in Schweden und löste damit eine globale Massenbewegung aus.

Gibt es auch „technische“ Kipppunkte?

Solche gibt es. Photovoltaik-Stromproduktion ist so billig wie noch nie, billiger als fossil produzierter Strom. Das ist ein Kipppunkt, der gerade überschritten wird. Somit wird Photovoltaik zum Selbstläufer. Ähnlich sehen wir das bei Batterietechnik und Elektroautos. Die werden in den nächsten Jahren den Markt dominieren. Das Rennen ist längst entschieden. Entscheidend ist jedoch festzuhalten: diese technischen Entwicklungen sind wichtig, sie werden aber nicht ausreichen, das Problem in den Griff zu bekommen. Technik allein reicht nicht, es braucht zusätzlich noch Verhaltensänderungen, von Tempo 80/100 über weniger Fliegen bis weniger Fleischkonsum. Gerade für die beiden letzten Bereiche gibt es keine technischen Lösungen, die in den nächsten Jahren verfügbar wären. Insofern braucht es ein Umdenken in der Bevölkerung als Ergänzung zu technischem Fortschritt.

Ja, auch hier gibt es eine immer größer werdende Gruppe, die kein Fleisch isst.

Erfreulicher Weise. Das ist genau diese gesellschaftliche Veränderung, die dann auch kippen kann.

Sollte man den Menschen nicht zeigen, dass das Leben auch ohne Fliegen und ohne Fleisch schön sein kann?

Natürlich muss man das auch so kommunizieren. Geringerer Fleischkonsum ist gesünder. Die WHO sagt schon seit Jahren, dass der Fleischkonsum speziell in reichen Ländern viel zu hoch ist und lebensverkürzend wirkt. Und was Urlaube betrifft: die sind meist auch ohne Fliegen machbar. Wenn man nicht ganz darauf verzichten will, dann könnte man zumindest die eine oder andere Gewohnheit hinterfragen, wie z. B. Kurztrips. Für 3 Tage wohin fliegen muss meist nicht sein. Mit Tempo 80/100 dauert es ein paar Minuten länger, bis man am Ziel ist. Es hätte aber Vorteile, nicht nur weniger Emissionen, sondern auch z. B. weniger Verkehrstote und Verletzte. Wir brauchen jede Maßnahme in jedem Bereich. Wir müssen die Verantwortung wahrnehmen, gewisse Gewohnheiten und klimaschädliche Verhaltensweisen hinterfragen und versuchen umzustellen.

Mit einem solchen Aufruf zum Hinterfragen und zur Selbstreflexion erreicht man wohl nicht alle.

Wir brauchen nur eine Mehrheit, also nur eine Stimme mehr als 50%. Und mit einer Mehrheit ist  eine bessere Klimapolitik möglich, die dann für alle gilt und die strukturellen Voraussetzungen für Klimaneutralität schafft.

Abschließend, was ist ihre Botschaft an die Leser*innen, unsere Mitglieder?

Werdet politisch aktiv, fordert und wählt eine bessere Klimapolitik. 2024 ist ein Wahljahr mit der Europawahl und der Nationalratswahl. Wir haben die letzten Jahre leider gesehen, wie sich einzelne Parteien zur Klimakrise positionieren, welche Politik sie fordern oder machen. Wir brauchen eine  Konstellation, unter der mehr möglich ist als bisher. Das mag für viele unbequem sein, aber so ist es einfach. Wer eine bessere Zukunft für seine Kinder und Enkelkinder will, muss sein Wahlverhalten gerade an der Klimapolitik ausrichten, auch wenn andere Interessen dabei eventuell zu kurz kommen. Wir haben ganz entscheidende Jahre vor uns, um das Klimaproblem doch noch zu lösen.

Herr Dr. Steurer, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch! Uns allen wünsche ich Erfolg beim Einsatz für das Klima.

Reinhard Steurer ist assoz. Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur Wien. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der politischen Dimension der Klimakrise im Allgemeinen bzw. mit der politischen Bedeutung von Ausreden und Schein-Klimaschutz in allen Bereichen der Gesellschaft im Speziellen.

Das Interview führte Ingeborg Fiala mit ihm.




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