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NOCH MAL VON DER SCHAUFEL GEHÜPFT

Blog von: Rainer Vogl

NOCH MAL VON DER SCHAUFEL GEHÜPFT
oder „Fact-Findig-Mission am Venediger Höhenweg“ oder „Schuhsohlen sind nicht für die Ewigkeit“ oder „da Großvenediga mog mi ned“ oder „das passiert normal nur den Anderen“ oder „sowos woar no nia“ oder schlussendlich „Glück im Unglück“.

Der Reihe nach.

Da ich Null Gletschererfahrung (Seilschaft, Spalten etc.) habe (und eigentlich immer noch hab) war der Plan sich einer geführten Tour (Profibergführer) auf den Großvenediger anzuvertrauen, nur ein logischer Schritt. Noch dazu solche Touren vom vereinseigenem Reisebüro „Weltbewegend“ angeboten werden. Gesagt - Gebucht.

Natürlich muss man als Flachländler (Wien Seehöhe ca. 171m) damit rechnen, in Höhen über 3000m ein bisschen Bluzerwehweh zu bekommen. Somit lag es im Zuge einer Fact-Findig-Mission nah, schon mal eine Woche vorher über den Venediger Höhenweg (immer knapp über 2000m mit Spitzen über 3000m) dem krönenden Abschluss auf 3666m näher zu rücken, um sich da gleichsam zu akklimatisieren. Bis auf den Abschluss (nix war mit Großvenediger) ein guter Plan und hat zum Großteil auch so funktioniert.

Fact-Finding-Mission auch deswegen, denn Hüttenhüpfen am Venediger Höhenweg, bietet sich super als Mehrtagestour für den Hochsommer 2018 (sonst natürlich auch) an. Und da ich ja ungern Touren ausschreibe, die ich nicht kenne, pflege ich immer im Vorfeld alles abzugehen.

Der Gipfel war für einen Samstag geplant, Anreise somit am Sonntag davor. Wären so um die 8 Tage geworden. Wie gesagt, wären! Die Route war wie folgt geplant: 

1. Tag: Vom Matreier Tauernhaus (hinterm Felbertauerntunnel) per Wandertaxi bis zur Johannishütte auf 2121m.  Ist mit dem Wandertaxi auch ein ziemliches Stück, die Auffahrt auf die Johannishütte ein bisserl spannend, aber oben angekommen, entschädigt schon die Lage der Hütte für den doch schon langen Anreisetag.



Die Hütte ist quasi Top, Speis und Trank (Halbpension) ausgezeichnet. Sie dient natürlich auch als Zwischenstopp für den Anstieg über das Defregger Haus auf den Großvenediger

2. Tag: Von der Johannishütte über Zopetscharte (2863m) zur Eisseehütte (2521m). Eigentlich ein unspektakulärer, aber wunderschöner Übergang.





Genau dort sieht man bereits nicht nur die Eisseehütte zum Greifen nah, sondernd auch den namensgebenden Eissee. Auf jeden Fall nahmen wir dort Quartier, füllten unsere Flüssigkeitsverluste nach und drehten Nachmittag eine kleine Runde über den Eissee. 



Muss ja einen Grund haben, dass die Hütte Eisseehütte heißt.



Da bemerkte ich, dass bei meinem rechten Bergschuh (Northface, auch immerhin 240,- EUR), die Sohle inkl. Geröllschutz, von mir abzufallen begann.



Dieses Phänomen kannte ich bis jetzt nur aus Erzählungen, aber dass es einen selbst passiert – schier unglaublich. Gut ein Panzerband war keines aufzutreiben und bis Donnerstag hin war es noch ein gutes Stück. Wenn die Sohle mal ganz weg ist, geht es sich um Potenzen blöder. Also blieb nur über am nächsten Tag mit dem Emergency-Schuhproblem ins Tal abzusteigen, sich bis zum Auto durchzuwurschteln, denn ich hatte noch ein paar Bergschuhe im Wagen, und anschließend den Marsch annähernd ab dem erzwungenen Abbruchpunkt wieder aufzunehmen. Man sieht der Trend geht zum ReservePaarBergschuh. 



Die Eisseehütte verfügt über eine Dusche, nur das warme Wasser ist exponentiell umso weniger verfügbar je höher die Anzahl der Bergsteiger. Aber die neuen Zirbenzimmer sind einfach super und machen das (zeitweise nicht verfügbare) warme Wasser wieder wett.

3. Tag: Also von der Eisseehütte über Zwischenstop Bodenalm nach Prägarten am Großvenediger. Dann mit Öffis bzw. Taxi zum Matreier Tauernhaus und retour zur Bodenalm auf 1948m. So kann man auch den Tag verbringen. Von dort dann zur Nilljochhütte, weil auf der Bonn-Matreier war offensichtlich nicht mal mehr der Fußboden in der Gaststube als Notquartier zu haben. Die Nilljochhütte gleicht eher mehr einem Ausflugslokal oder einer Jausenstation. Aber Duschen in den Zimmern, Küche vorzüglich und das Frühstück wird nach Wunsch auf die Terrasse serviert. Der Chef (Milan) spart nicht nur nicht mit Geschirr (das muss man beim Frühstück gesehen haben) sondern schmeißt auch mit Schnaps („Du musst kosten, ist aus meiner Heimat!“) um sich. Gut aber hochprozentig. Wenigstens nicht zum Frühstück, denn es geht auch anders wie wir bald lesen werden.

4. Tag: also nix mit Bonn-Matreierhütte, somit hat sich der vierte Tag zur Königsetappe entwickelt. Zuerst von der Nilljochhütte rauf zur Bonn-Matreier und über die Galtenscharte zur Badener Hütte weitergewurschtelt. 



Da kamen mehr als 1500HM Aufstieg zusammen (phfffffffffffffffff). Klingt jetzt auch nicht so extrem viel, am Schneeberg über den Stadlwandgraben sind es auch nicht mehr als 1500HM, aber da bekommt man ja auch um 09:00 Uhr früh keinen doppelten Schnaps zu seinem Almdudler (auf der Bonn-Matreier schon) und hat wahrscheinlich keinen 5-Tage Rucksack mit. Das perfide am Zustieg zur Badener Hütte ist nebenbei die Tatsache, dass es nach Überwindung der Galtenscharte und des Malfrosnitzbachtales,  so unheimlich lang höchst gemütlich einer Höhenschichtlinie folgend nach hinten ins Tal hineingeht. Und wenn die Hütte plötzlich auftaucht, noch kantige 400HM rauf. Da hatte ich (gebe ich zu) einen ordentlichen Hänger. Auf Grund der erhöhten Steinschlaggefahr in der Galtenscharte war hier der Helm präventiv mal nützlich. Ist zwar nix passiert, aber der Hohlraumschutz war dabei.







Am 7. Tag hatte ich den Helm nicht auf und sowieso ordentliches „Mazel“.
Die Badener Hütte macht zum Teil einen musealen Eindruck.



Aber Bedienung, Essen, Lager etc. ließ nichts zu wünschen übrig. Und es gibt eine Dusche um nur noch 2,- Euro! Ohne Zeitlimit!!!

5. Tag: Von der Badener Hütte über das Lobbentörl runter zum Matreier Tauernhaus. Hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass man wieder in einem ordentlichen Bett schlafen, und auch die Annehmlichkeiten (Dusche/WC) der modernen Zivilisation ordentlich genießen konnte. Kompletter Wäsche und Ausrüstungswechsel selbstredend, denn das Gletscherzeugs (Steigeisen etc.) lag ja noch im Auto.
Rauf zum Lobbentörl waren es nur 300HM.



Aber runter hat es sich ordentlich gezogen und zwar wie ein Strudelteig (sagt man zumindest in Wien). Allerdings tolle Gegend. Der Pfad folgt meistens dem Rand der ehemaligen rechten Gletschermoräne zum Auge Gottes und zum Salzbodensee. Am Wasserfall vorbei geht es dann ins Tal zum Venedigerhaus und dann nur noch ca. 4km bis zum Matreier Tauernhaus.

6. Tag: Treffen mit dem Bergführer und den anderen Teilnehmer und gemeinsamer Aufstieg vom Matreier Tauernhaus zur Neuen Prager Hütte. OK vom Tauernhaus zum Venedigerhaus haben wir das Wandertaxi benutzt und für den Aufstieg haben wir uns der Rucksäcke bei der nigelnagelneuen Materialseilbahn entledigt, aber rauf haben wir schon selber gehen müssen.



Die Neue Prager Hütte liegt auf 2796m. Die Zimmer/Lager im ersten und zweiten Stock, also man schläft auf jeden Fall über 2800m. Selbstbedienung mit Verzehrzettel und Dusche um 5,- EUR für drei Minuten warmes Wasser. Voll okay meiner Meinung nach. Der Hüttenwirtsfamilie sieht man sofort an, dass sie das Geschäft schon lange betreiben und dass sich das Tiroler Gröstl vor nichts und niemanden verstecken muss.
Ein Verzehrzettel ist übrigens ein Zettel auf dem der Verzehr notiert wird (no na). Das heißt alles was man konsumiert wird eingetragen und (meistens) am Abend vor der Hüttenruhe dann abgerechnet. Grundsätzlich eine einfache und effiziente Methode um auf Berghütten die Verabreichung von Speisen und Getränke sowie sonstiger Leistungen (wie Übernachtung, Duschen etc.) zu erfassen und zu bezahlen. 

7. Tag: Tja da wäre jetzt der Aufstieg zum Gipfel des Großvenedigers am Programm gestanden. Für mich war die Tour allerdings dann schon nach ca. einer Stunde um 08:00 Uhr auf 3000m zu Ende. Und beinahe nicht nur die Tour, sondern auch mein Wirken auf diesem Planeten.

8. Tag: entfällt somit für mich
Wenden wir uns nochmals dem 7. Tag zu: nach unspektakulären Zustieg von der Neuen Prager Hütte zum Gletscher, ist es mir um Punkt 08:00 gelungen mit den Steigeisen gleich am ersten Eisfeld einen Abgang zu produzieren.



Der Abgang bestand aus einer ca. 35m langen Rutschpartie über das Gletschereis mit anschließendem dumpfem Aufprall in den Blocksteinen.
Mein Zustand (röcheln wie Darth Vader inkl. Blut spucken) ließ sofort auf erhebliche Verletzungen schließen. Zwei zufällig anwesende Mitglieder von der Bergrettung (keine Ahnung von wo) setzten die Rettungskette in Gang. Da Nebel aufzog, war der Hubschrauber erst um 08:20 bei mir. Bis dahin wurde ich in Seitenlage gebracht. Ein Bergrettungsmitglied legte sich hinter mir um den kalten Wind von mir abzuhalten. Rettungsdecke bzw. Folie hatten sie schon um mich gewickelt. Etwas später robbte ich mit Unterstützung der zwei Bergretter vom Gletscherwasser in dem ich lag auf einen trockenen Felsen. Der ÖAMTC-Hubschrauber zog mich nach Erstversorgung (Zugang in die Vene, Beruhigungsmittel, Kreislaufunterstützung, Schmerzstiller und was weiß ich noch alles) mittels Seilbergung in die Höhe und zu einem Zwischenlandeplatz. Dort wurden meine Vitalfunktionen weiterhin beobachtet (Sauerstoffsättigung, Puls, Blutdruck, Ansprechbarkeit,  etc.) und ich anschließend in den Hubschrauber eingeladen. Wegen Nebel waren die Truppe gezwungen mit mir 30 Minuten quasi „eingeparkt“ irgendwo am Berg auf besseres Wetter zu warten. Dann ging es so richtig los und um 10:00 Uhr habe ich (oder eigentlich wurde ich) im Unfallkrankenhaus St. Johann in Tirol eingecheckt. Die Zeiten weiß ich deswegen so genau, weil ich im Schockraum die Digitalanzeigen im Blickfeld hatte.

Von 10:00 bis 11:35 haben sie dort im Schockraum mit mir, in mir und auf mir herumgebastelt. Die Verletzungen waren z. T. erheblich. Die allgemein verständlichen sind Rippenbrüche rechts 3-9, Pneumothorax, Absplitterung am rechten Schultergelenk, Beule am Schädel und eher unerhebliche Schürfwunden hauptsächlich auf der rechten Körperseite inklusive abgehobelten Ellenbogen und rechtes Knie beleidigt. Ansonsten pumperlgsund.
Ich war vom Unfall an bis zum operativen Eingriff zur Durchführung einer Bülaudrainage (Danke Dr. Gotthard Bülau, 1835-1900, für die Methode; kann man googeln;) bei Bewusstsein und hab die Bemühungen der Truppe komplett mitbekommen. Und ich muss sagen, von Beginn an hatte ich und habe ich den Eindruck  in den besten Händen gewesen zu sein, denn jeder der Truppe hat offensichtlich genau gewusst hat was er mit mir macht.
So am Rande sei erwähnt, dass sie mich natürlich ausgezogen haben. Und obwohl ich ihnen gesagt habe: „könnts ruhig a Scher nemma!“ haben sie mich ohne Kleiderschaden aus dem Bergsteigerzeugs herausgeschält. Sogar die Schuhbänder aufgefädelt!
Die Drainagegeschichte liest sich (je nach Suchergebnis bei Dr. Google) überhaupt wie ein Auszug aus dem Buch „Das Schreckenskabinett des Dr. Mabuse“!
Im Anschluss kam ich voll verkabelt für 48 Stunden auf die Intensivstation zur Beobachtung. Da die Primaritäten mit meinem Heilungsprozess zufrieden waren wurde ich danach auf die Unfallchirugie A überstellt. Dort haben sie weitere 7 Tage damit verbracht mich zu mobilisieren, die Bülaudrainage zu entfernen, meinen Stuhlgang zu hinterfragen und so fort. Ab Drainagenentfernung begann das Leben wieder zu Pulsieren, denn nun konnte ich ohne diverse Anhängsel ganz alleine das Krankenhauscafe heimsuchen. Die haben dort übrigens sehr nette Mehlspeisen.

Wenn man von der Intensiv auf die „normale“ Station kommt ist das auch mit einem Wechsel des Nachthemdes von „hinten offen“ auf „vorne Knöpfe“ verbunden. Man wird wieder menschlicher. Betrifft auch die alleinmögliche Verrichtung von Körperfunktionen und Duschen!!!

Einiger Wermutstropfen ist vielleicht der ab dem 4. Tag stattfindende Schmerzmittelentzug. Ich weiß nicht was ihr mir alles als Infusion verpasst habt, aber da muss echt geiles Zeugs dabei gewesen sein.

Da ich wusste, die Flugrettung wird mir eine Rechnung schicken, habe ich inzwischen auch mit der Alpenvereinszentrale Kontakt aufgenommen und mich durch den vermeintlichen Versicherungsdschungel gekämpft. War aber kein Kampf sondern ein recht einfacher Vorgang. Nach telefonischer Abklärung wurde auch der Heimtransport zum Zeitpunkt der „Entlassung in häusliche Pflege“ organisiert und ein Rettungswagen hat mich von St. Johann in Tirol nach Wien überstellt. Lt. Personal in meinem Fall quasi eine ruhige Kaffeefahrt nach Wien (Betonung  auf „a“ in Kaffee).

Siehe da, die Rechnung der Flugrettung war schon zugestellt, noch bevor ich in Wien war.



Die verlieren wirklich keine Zeit – egal bei was. Rund 7.200,- Euro. Da beginnt sich der Mitgliedsbeitrag beim AV so ordentlich zu rentieren. Noch dazu die Heimführung nach Wien im Zuge eines vorangegangen Bergeeinsatzes ja auch noch dazu kommt.
Kleines Highlight im Spital war mein telefonischer Bestellvorgang beim Intersport St. Johann in Tirol. Dazu erklärend anzumerken ist folgendes: Vor Jahren anlässlich einer Radtour Passau-Wien, hatte ein Mitstrampler schon bei der Abfahrt in Wien-West einen Patschen. Da wir wussten, der Zug hat in Linz Aufenthalt, haben wir beim Intersport in Linz angerufen und für die Ankunftszeit des Zuges in Linz zwei passende Fahrradschläuche bestellt. Und die wurden tatsächlich zum Bahnsteig geliefert.

Bei längeren Bergtouren ist naturgemäß der Wäschevorrat enden wollend. So kommt man rasch zum Ende der Unterhosenfahnenstange und möchte doch auf die kleidsame Spitalsnetzunterhose mit Einlage so lang es geht verzichten. Da habe ich mir die Telefonnummer vom Intersport in St. Johann in Tirol rausgesucht und mal angerufen. Nachdem ich ein bisschen durchs Geschäft verbunden wurde ist mir doch tatsächlich Fr. Katharin Entstrasser mit zwei Löfflerfunktionsslips im Spital erschienen und hat quasi mit mir einen Bettenverkauf durchgeführt. „Ab Hof“ würde man bei der Milch sagen. Und sowas war in St. Johann in Tirol angeblich „ibahaupt no nia!“

Abschließend ist angemerkt:
NOCHMAL VON DER SCHAUFEL GEHÜPFT. Wirklich und wahrhaftig
Ich möchte und muss danken:

den zwei zufällig anwesenden Bergrettern unbekannterweise,
der Profihubschraubertruppe vom ÖAMTC,
dem kompletten Personal im UKH St. Johann in Tirol,
Uli, die sich zwei Urlaubstage genommen und der Chefin vom „Hotel zur schönen Aussicht“ Handtücher und einen Bademantel f. mich schnorrte (bereits gewaschen zurückgeschickt), mein Auto nach Wien überstellt und sich meiner Sachen angenommen hat,
der AV-Versicherung für die höchst unkomplizierte Abwicklung,
dem Team Intersport St. Johann in Tirol für die Erledigung meines abartigen Ansinnens. Mädels und Jungs, Ihr würdet mit diesem speziellen Service in eine auszubauende Marktlücke stechen. Kümmert Euch darum!!!
Natürlich bei allen, die mir gute Wünsche (wie „schau in Zukunft wost hinsteigst“, „auf markierten Wegen bleiben“, „warast ned auffistiegn…“, usw.) übermittelt haben und mir bei längeren Aufenthalt im UKH sogar Besuch angedroht haben.

Euer Rainer

P.S.  an das Team im UKH St. Johann in Tirol: Wenn mich nochmal ein Berg abwirft möchte ich nur zu Euch!!!

 

Rainer Vogl
Im Alpenverein Edelweiss seit: 2010
Bergwanderführer
Aktivitäten: Wanderungen im Sommer und Winter, Bergwaldprojekte
Touren mit Rainer Vogl